Für jede*n Coronatote*n fällt ein Nagel in eine Schale

„Ruf“ – eine liturgische Performance in der Gründonnerstag-Nacht

In Deutschland sind bisher fast 75 000 Menschen an und mit Covid 19 verstorben. Zusammen mit Marios Pergialis erinner ich in einer liturgischen Performance an jede und jeden einzelnen von ihnen. In der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag lassen wir in der Kirche St. Maria in Stuttgart für jede*n Verstorbene*n einen Nagel in eine große Metallschale fallen.

Jeder Nagel ein Ruf

Jeder Nagel erzeugt dabei einen Ton, den wir als „Ruf“ verstehen. Wir geben damit jedem Menschen noch einmal einen Ton, einen Raum und ein Echo.

Foto: M. Pergialis

Der erste Nagel wird um 20 Uhr am Gründonnerstag fallen, der letzte in den Morgenstunden am Karfreitag. Auf Worte werden wir verzichten. Wir beginnen Gründonnerstagabend mit dem Kreuzzeichen und enden Karfreitag morgens mit dem Kreuzzeichen. In den zwölf Stunden dazwischen lassen wir einen Nagel nach dem anderen in die Schale fallen. In der leer geräumten Kirche wird sich der Ton der nacheinander aufschlagenden Nägel im Lauf der Nacht verändern.

Was macht es mit uns?

Marios und ich werden voraussichtlich alle drei Stunden abwechseln. Wir wissen nicht, was das pausenlose Fallenlassen der Nägel, das Wissen um die vielen tausend Verstorbenen und die Symbolik mit uns machen wird. Wir haben die Aktion nicht geprobt. Am Ende der Nacht werden zumindest 200 kg Nägel in der Schale liegen. Es ist ein Versuch, die unbegreifliche, nüchterne Zahl irgendwie sichtbar zu machen – nicht nur als Gesamtmasse, sondern als individuelle Einzelereignisse.

Foto: M. Pergialis

Die Aktion ist ein performativer Akt: Wir setzen uns dieser Zahl aus, versuchen der Sinnlosigkeit ein Bild zu geben und die Unbeantwortbarkeit der Pandemie wenigstens im Handeln irgendwie greifbar zu machen. Gleichzeitig ist es ein liturgischer Akt. Wir thematisieren jede*n Verstorbene*n vor Gott. Er wird es aushalten müssen.

Wir sind uns einig, dass beide Perspektiven gültig sind, ohne dass die eine die andere braucht: Es kann als Gebet verstanden werden oder als Kunstaktion oder als beides.

Foto: M. Pergialis

Die Nägel erinnern an die Nägel am Kreuz Jesu, die Schale an die Wasserschale, mit der Jesus den Jüngern beim letzten Abendmahl die Füße gewaschen hat, sie erinnert aber auch an die Schale der bevorstehenden Osterfeuer. Gründonnerstag ist die Nacht vor Jesu Tod, in der er in Einsamkeit und Angst betete und anschließend gefangen genommen wurde. Deshalb wird die Marienkirche während der Nacht für einige Stunden für Besucher geschlossen sein, um gerade auch an die Menschen zu erinnern, die alleine gestorben sind. Je nach Corona-Situation vielleicht auch die ganze Nacht.

Mehr wird nach und nach hier zu finden sein: Ruf.


Mittlerweile haben wir beschlossen, dass die Aktion nicht analog-öffentlich stattfinden wird. Näheres hier.

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