Protokoll eines Gebets

Protokoll eines Gebets für die Opfer der Bluttat in Las Vegas

Ich war in der Kirche. Zum Gebet, wie so oft.

In der Sakristei waren noch übrige Blumen vom Erntedank-Altar.
In meiner Hosentasche hatte ich Nähgarn.
In meinem Kopf die Bilder der Schießerei in Nevada.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam,
aber irgendwann saß ich da und wickelte eine Blüte in den Faden ein.
Als die Blüte unter dem Weiß des Garns fast nicht mehr zu sehen war,
wusste ich, dass mein Gebet mit den Bildern des ARD-Brennpunktes zu tun haben würde.
Und dass ich mehr Blüten brauchte.

Ich holte 58 aus der Sakristei. Das war zu diesem Zeitpunkt die Zahl der Todesopfer.

Zuerst wickelte ich die Blüten einzeln ein
(ich merkte wie viel 58 ist, wenn man sich jeder Blüte einzeln widmet),
dann den ganzen Strauß.

Ein paar mal unterbrach ich, atmete durch und machte Fotos.
Dann wickelte ich wieder weiter.

Fast zwei Stunden lang. Viele Hundert Meter Faden.

Ich weiß nicht wirklich, was ich damit sagen wollte – mir, der Welt, dem lieben Gott.
Das Einwickeln sagte mir etwas.
Ich hörte zu und wickelte weiter.

Mal hatte ich das Gefühl, ich müsse meine Wut abwickeln.
Ich war energisch.
Ein andermal hatte ich das Gefühl, Wunden zu verbinden.
Ich war vorsichtig.
Ein andermal wollte ich die Dinge miteinander verbinden.
Ich war eher hilflos.

Die Skulptur, die am Ende entstanden ist, erinnert mich an eine trauernde Person oder an zwei, die sich in den Armen liegen. Ein bisschen auch an eine Pieta.

Es hat etwas zu tun mit Karfreitag, als ich den Gekreuzigten eingewickelt habe. Aber auch mit dem weißen Faden, der für mich Segen symbolisiert.

1 Kommentar

Sebastian, du drückst so vieles aus und gibst ihm Gestalt. Dass das gebet ankomme, dass es Wunden verbinde , und Heils schaffe, wo Unheil ist, und dass das menschliche und lebenswerte bewahrt bleibe

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