Infusion

Die Bilder der Nachrichten sind unerträglich. Wie kann ich sie an mich heranlassen, ohne verrückt zu werden? Andererseits will ich auch nicht wegschauen.

Vielleicht hilft es, andere Bilder dazuzulegen. Nicht um von den Nachrichten abzulenken, sie zu relativieren oder zuzudecken. Sondern damit die Seele atmen kann, damit sie etwas zum Festhalten hat, zum Hoffen und Vertrauen. Bilder, die schöne Geschichten erzählen und Kräfte wecken, die mir guttun.

Ich nenne dieses Gebilde „Infusion“.

Es ist am Montag in der Kapelle des BJA entstanden. Ich habe Draht verknotet, ohne über etwas Bestimmtes nachzudenken oder ein Ziel zu verfolgen. Daher weiß ich auch nicht genau, was es darstellt.

Aber es tröstet mich. Ich kann nicht genau sagen, warum.

Vielleicht, weil es für mich irgendetwas Heilendes hat. Es erinnert mich an eine Infusion.

Vielleicht, weil es zwar notfallmäßig improvisiert aussieht, aber die Pflaster signalisieren: Hilfe ist da!

Vielleicht auch, weil trotz des ganzen Chaos noch immer der Draht nicht gerissen ist. Weil alles verbunden bleibt. Das lässt mich vertrauen, dass nichts verloren geht und das ganze Unheil und Leid und all die Toten noch immer fest mit einer Kraft von oben verbunden sind.

Vielleicht, weil das Gebilde etwas Organisches, Lebendiges hat – wie Hirnströme oder Blutgefäße.

Vielleicht, weil mir klar ist: Das kommt nie wieder in Ordnung. Es wird nie wieder wie früher! Und seltsamerweise tut es mir gut, das auszusprechen.

Vielleicht, weil ich mir die einzelnen Knotenpunkte als Menschen vorstellen kann, ohne dabei zwischen Freund*in und Feind*in unterscheiden zu müssen. Durch alle Knotenpunkte fließt das eine Menschsein.

Vielleicht, weil in dem Gebilde die Dinge miteinander verbunden sind und nicht gegeneinander abgegrenzt.

Vielleicht, weil ich merke, dass mir diese Verbundenheit wichtiger ist, als dass das Gebilde irgendwie ordentlich aussehen müsste.

Es wirkt halbfertig, provisorisch.

Vielleicht gerade deshalb: Weil ich es nicht lösen muss.

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