Vor vier Wochen habe ich mich (wie jedes Jahr) gewundert: Was, wirklich schon Advent?
Jetzt ist Endspurt vor Weihnachten und bald werde ich mich fragen, wo denn 2022 geblieben ist.
Wo bleibt die ganze Zeit? – Also mal im Wortsinn gefragt: Wo bleiben die Tage am Abend? Sind sie weg? Verwandelt sich alles in Erinnerung? Wohin fließt 2022, wenn es vorbei ist?
Wo bleibt die Zeit?
Wo bleibt die Zeit, wenn sie vergangen ist? Was passiert mit einem Augenblick, wenn er vorbei ist?
Ich stell mir vor, unmittelbar hinter der Gegenwart wandle ein mächtiger Zeitenwanderer. Ein Engel, der alle Momente einsammelt. Er beeinflusst die Gegenwart nicht, aber er hebt alles auf:
Jedes Lachen, jede Träne.
Jede Enttäuschung und jeden Hoffnungsschimmer.
Jede Scherbe und jedes Samenkorn.
Jeden Gedanken und jeden Traum.
Jedes Wort, jede Geste, jede Tat.
Nichts geht verloren. Er übersieht nichts und vergisst nichts. Er ist unvorstellbar zuverlässig.
Und zärtlich ist er, denn er lässt behutsam alles so, wie es ist: unverfälscht und pur.
Am Ende (ich weiß nicht: Am Ende des Tages? Am Ende des Jahres? Oder am Ende aller Zeit?) löst er sich von der Gegenwart und geht den Weg zurück. Er legt alles, was er eingesammelt hat, als Heu in eine Krippe. Er atmet lange aus und nickt.
Genau dort hinein legt sich Gott. In die Scherben und den Staub. In die kleinen und großen Geschichten. Mitten in die Hoffnung und Enttäuschung und die Wut und die Angst und die Freude und das Lachen und die Liebe und den ganzen anderen Rest, was der Zeitenwanderer angesammelt hat im Laufe eines Tages, eines Jahres und eines Lebens.
1 Kommentar
Kommentieren →Danke, Sebastian. Dein Text passt sehr gut in meine persönliche Weihnachtssituation und tut gut