Ich habe meinen Atem in Papiertüten gesammelt. Gleichmäßig, betend, meditativ, pro Atemzug eine Tüte. Nach einer halben Stunde lag ein Berg voller Atem vor mir. Ich habe die Tüten liegen lassen.
Einige Wochen später kam Corona und hat die Bedeutung ausgeatmeter Luft verändert.
Mein Atem blieb noch immer in der Ecke der Kirche liegen. Im Laufe der Jahre hat er Spinnweben und Staub gesammelt. Hin und wieder kam jemand vorbei und hat das Schild gelesen: „Atem einer halben Stunde.“
Die Pandemie ebbte ab, Deutschland atmete wieder normal und rechts hinter dem Altar lagen unberührt noch immer die Tüten, als wären sie schon immer da.
Die Putzkräfte putzten vorsichtig um ihn herum und wenn dort ein Stuhlkreis gebildet wurde, ließ man an dieser Stelle eine Lücke. Der Atem wurde zum Gewohnheitsrecht.
Ich weiß: Die Tüten sind nur noch leere Kokons. Mein Atem ist längst diffundiert und hat sich mit der Luft vereint. Er trägt jetzt irgendwo einen Vogel oder einen Käfer, flirrt am Horizont, verbrennt in einer Kerze, ist Schluchzen oder Schimpfen oder Lachen und wird von anderen geatmet, von Menschen und Tieren und Pflanzen.
Was mir bleibt ist ein Haufen leerer Tüten und das Gefühl, ich müsste sie beschützen.
Installation 2019-2024 St. Antonius, Wernau
Wenn der Atem verstaubt: Was bleibt? Wann ist jetzt?