Diese Bilder verletzen meine religiösen Gefühle. Das muss sein, denn die Kreuzigung selbst verspottet meinen Glauben. So war sie gedacht und so wirkt sie. Sie ist eine zynische Inszenierung des „Jesus von Nazareth, König der Juden“ (so die Inschrift am Kreuz) als Witzfigur. Ich kann mich dem Geschehen der Kreuzigung also nur annähern, wenn ich die Aspekte von Verhöhnung, Entwürdigung und Folter mitmeditiere. Auch wenn mir das Kreuz heilig ist, zwinge ich mich, diese Konfrontation einzugehen und auszuhalten.
Ich bin mir im Klaren darüber: Folgende Bilder sind nicht ohne Skandal. Aber der Skandal liegt in der Kreuzigung selbst. Die Bilder geben ihn nur wieder.
Woran ich dabei denken muss:
An Foltermethoden in Krisengebieten und totalitären Systemen.
An eine Schule, an der ich unterrichtet habe und in der eine Gruppe von Jungs der 9. Klasse einen vollkommen friedlichen, aber kulturell andersartigen Mitschüler in der großen Pause mit Kabelbindern in entwürdigender Position an einen Heizkörper gefesselt und zurückgelassen haben. Sie hatten Spaß dabei.
An die Tatsache, dass die Kreuzigung eine so brutale und entwürdigende Foltermethode war, dass die Christen sich die ersten 300 Jahre nicht getraut haben, Jesus am Kreuz darzustellen. Es war ihnen schlichtweg unmöglich ihren Herrn in dieser Situation zu zeigen. Erst als die Kreuzigung nicht mehr praktiziert wurde, fanden sich in den Kirchen langsam erste Bilder von Jesus am Kreuz.
An die Marterpfähle der Kiowa, Irokesen, Comanchen und Lenni Lenape.
An die Foltermethoden in Abu Graib, an Menschen, die in Gefängnissen des IS an Stangen aufgehängt wurden.
Quasi in allen Kulturen und zu allen Zeiten kommt es zu derartigen Szenarien. Sie zielen einerseits darauf ab, das Opfer körperliche und psychische zu brechen, andererseits sollen sie den Menschen derart der Lächerlichkeit preisgeben, dass die Person entwürdigt und entmenschlicht wird. Folter soll nicht nur Schmerzen zufügen, sondern die Täter sagen damit auch etwas über das Opfer aus. Es ist eine Nachricht: „Du bist wertlos!“ In dieser Situation ist jeder Witz erlaubt. Deshalb ist Spott auch allgegenwärtig: Die Dornenkrone, die Inschrift über dem Kreuz oder die Verwendung von Klebeband „Komm doch herab vom Kreuz! Bist du zu schwach das Kreppband zu zerreißen?“ Verspottung hat eine Funktion. Es gibt keine Grenze mehr, die nicht überschritten werden dürfte, keine Gürtellinie unterhalb derer Witze unangebracht wären. Es existiert kein letzter Schutzwall der Würde, hinter den sich das Opfer zurückziehen könnte. Und weil diese letzte Anerkennung einer Grenzlinie verweigert wird, wird der Mensch als solcher ent-definiert. Das Personsein wird abgesprochen. Der Mensch wird zum biologischen Fleisch ohne Rechte, ohne Gesicht.
Besonders perfide: Je einfacher die Mittel solcher Methoden, desto deutlicher die Aussage. „Billigstes Alltagsmaterial reicht aus. Es braucht nicht viel, um dich zu zerstören. Zwei Balken und drei Nägel genügen.“
Ein Heizkörper und ein paar Kabelbinder.
Eine Rolle Malerkrepp.
Es war mir wichtig, dass alle Bilder an einer Treppe entstehen. (Oder in unmittelbarer Nähe dazu.)
Das paradoxe Verhältnis von Verhüllung (von Kreuz, Gesicht, Menschlichkeit auf allen Seiten) und Enthüllung (griechisch „Apokalypse“, Offenbarung) ist mir ebenfalls ein wichtiger Aspekt.
Was bleibt übrig vom Mensch?
Was bleibt übrig von Gott?
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In Gesprächen über diese Bilder kommen uns Fragen auf. Einige zur Anregung hier:
- Ist Würde zerstörbar? Oder bleibt sie auch in der Entwürdigung unantastbar?
- Ist verspottende Kreuzigungsdarstellung angemessen? Ist verharmlosende Kreuzigungsdarstellung (z.B. als Schmuck) angemessen?
- Ist die Veröffentlichung von Fotos von Folteropfern Beihilfe?
- Ist Gott mit den Opfern so weit solidarisch, dass Ent-Menschlichung Ver-Göttlichung bedeutet?
- Mein Gott, warum hast du uns verlassen?
- Was wird offenbar, wenn das Gesicht verhüllt wird?
- Die verspottende Darstellung der Kreuzigung hat eine längere Tradition als die verehrende. 300 Jahre brauchte das Christentum, bis es gelernt hat, vor dem Kreuz durch den Spott hindurch zu beten. Nimmt das Christentum noch wahr, dass es „durch den Hohn hindurch“ betet?
Hier alle Teile des Gesamtprojektes „korpus„.