position

Ich hätte nicht gedacht, dass es eine so intensive Erfahrung werden würde.

An verschiedenen Abenden habe ich in der Innenstadt in Esslingen Fremde angesprochen und sie gebeten, an jemanden zu denken, dem sie Ja sagen möchten. Und dann auch an jemanden, dem sie Nein sagen wollen. Beides, Ja und Nein, sollten sie dann in der eigenen Handschrift auf je eine Karte schreiben.

Die ersten beiden Male habe ich 100 Leute gefragt. 62 haben sich darauf eingelassen.

  • Einer konnte nicht verstehen, warum ich das mache. Wir kamen ins Gespräch am Ende sagte er dann doch Nein, er wolle sich lieber nicht beteiligen.
  • Einer erzählt mir, die Leute sagten, er sei ein schlechter Mensch. Er wisse nicht, ob er das glauben soll.
  • Zwei andere, fanden es spannend, dass die Leute ja schon auf meine Frage, ob sie sich beteiligen wollen, Ja oder Nein sagen müssen.
  • Einer sagte kein Wort und ging weiter.
  • Einer hätte es spannend gefunden, wenn ich auch nach den Geschichten hinter den Jas und Neins gefragt hätte.
  • Einer widmete sein Ja seiner 1982 verstorbene Mutter.
  • Eine war fertig und wollte mir die Karten schon geben, zog sie dann aber wieder zurück und setzte hinter das Nein noch ein dickes Ausrufezeichen.
  • Einer sagte, er verstehe nichts von moderner Kunst.
  • Eine freute sich sehr.
  • Eine quietschte: „Au ja, au ja, ich will auch!“
  • Einer sagte: „Was soll der Scheiß?“
  • Zwei unterhielten sich: „Ich check nicht, was das soll!“ „Ich schon!“ „Du verstehst das?“ „Ja, ich finde das gut!“ „Ich nicht!“
  • Zwei sagten, schon Kleinkinder könnten Ja und Nein ausdrücken.
  • Mit einem kam ich fast eine Stunde lang ins Gespräch über Philosophie, Religion, Fundamentalismus, Treue in der Partnerschaft, Ehrlichkeit, Moral und vieles mehr.
  • Vielen fiel es deutlich leichter, Ja zu schreiben als Nein.
  • Eine konnte gerade das gar nicht verstehen. Nein sei doch viel leichter!
  • Beim Nein-Schreiben schauten die Menschen sehr ernst.
  • Die allermeisten überlegten sehr genau, wem sie ihr Ja und ihr Nein widmeten. Manche saßen lange vor der leeren Karte. Manche spielten mit dem Bleistift.
  • Einer fragte: „Darf ich dir erzählen, woran ich denke?“
  • Eine fragte: „Darf ich ein Herzchen zu meinem Ja machen?“
  • Eine fragte: „Darf ich ein Foto von den Karten machen?“ und fügte hinzu: „Das schick ich ihm jetzt!“ (Gemeint war das Nein!)
  • In Gruppen wussten die Leute meist, wem das Nein des anderen galt: „Das war mir jetzt klar!“
  • Zwei unterhielten sich: „Schreib bei Nein Christian!“ „Nein, so fies bin ich jetzt nicht!“
  • Eine flüsterte ihrer erwachsenen Tochter ins Ohr, wem deren Nein gelten könnte. „Genau!“ sagte sie und schrieb es gleich genüsslich und voller Lust.
  • Paare widmeten sich ihr Ja oft gegenseitig.
  • Viele erkundigten sich, was ich mit den Karten vorhabe. Aber immer erst nachdem sie Ja und Nein geschrieben hatten, nie vorher.
  • Mit einigen unterhielt ich mich darüber, dass wir sind, wer wir sind, weil wir Ja und Nein sagen.
  • Eine schaute skeptisch, nachdem ich ihr erklärt habe, worum es geht. Ich sagte ihr: „Sie müssen nicht mitmachen! Sie dürfen auch Nein sagen!“ „Danke, dann lieber nicht!“
  • Zwei sagten noch bevor ich etwas sagen konnte: „Sorry, wir sind in einem wichtigen Gespräch!“
  • Viele wollten zuerst nur eine Karte schreiben – die mit Ja.
  • Es war für mich eine Hürde, Fremde anzusprechen. Vor allem am Anfang.
  • Eine sagte: „Du bist cool!“
  • Einige überlegten sich Symbole, die sie zusätzlich auf ihre Karten malten, damit sie sie gegebenenfalls wiedererkennen können.
  • Eine erzählte mir von ihrem Bruder.
  • Viele wünschten mir Glück bei meiner Aktion.

Ja und Nein sind mächtige Wörter. Mit ihnen positionieren, definieren und identifizieren wir uns. Vielleicht sind es die mächtigsten Wörter, die wir haben. Durch sie sind wir, wer wir sind. Sie können unendlich viel Kraft kosten. Man kann an ihnen zerbrechen. Gleichzeitig bilden sie die ursprünglichste Kommunikation: Selbst Kleinkinder und sogar Tiere können Zustimmung und Ablehnung ausdrücken. Den Großteil unserer JAs und NEINs sagen wir unbewusst: durch Körpersprache, Satzmelodie, Mimik. Viele JAs und NEINs sind privat, intim, persönlich. Viele verschweigen wir. Manche lügen wir.

Die Karten zu beschriften, ist ein einfaches Spiel. Es ist aber auch ein persönlicher Akt. Das war deutlich zu erkennen. Die Leute ließen sich Zeit. Überlegten. Schwiegen. Sie strahlten eine seltsame Mischung von Verletzlichkeit und Kraft aus, von Unsicherheit und Selbstbewusstsein. Ich meinerseits habe niemals nachgefragt, wem das Nein oder Ja gilt. Nicht selten hatte ich das Gefühl, dass mir mit den beschrifteten Karten ein Geheimnis anvertraut wurde, eine große Geschichte, die ich zwar nicht kannte, die mir aber doch mitgeteilt wurde. Und obwohl ich nichts verstand, war ich oft auch dankbar. Die Karten sind mir wertvoll.

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Ein weiteres Mal habe ich fremde Menschen in Esslingen angesprochen. 101 insgesamt. Von 50 habe ich ein Ja und ein Nein bekommen.

  • Einer fragte: Das soll Kunst sein? Ich sagte: Ja. Er schüttelte den Kopf. (Auch ein Ja und ein Nein!)
  • Eine schrieb ihre Karten auf Finnisch. Einige auf Englisch. Eine auf Portugiesisch, eine auf Französisch.
  • Eine sagte, das Ja gelte ihrer Mutter. Das Nein ihrem Vater.
  • Eine sagte, die Menschen, die einem am nächsten stehen, verletzten einen am meisten.
  • Eine sagte, sie hätte schon vor einigen Wochen an meiner Aktion teilgenommen. Ich fragte, ob sie noch wisse, wem sie ihr Ja und ihr Nein gewidmet habe. „Klar!“ meinte sie „Das vergisst man doch nicht!“ Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich nicht gefragt habe, ob sie trotzdem noch einmal teilnehmen möchte, und ob sich etwas verändert habe.
  • Eine sagte: „Zuerst wusste ich nicht, was ich schreiben sollte. Mein Kopf sagt Nein, mein Herz sagt Ja.“
  • Eine sagte: „Zuerst wollte ich das Nein meinem Verlobten geben. Wir haben gerade Streit! Hab’s aber doch nicht getan!“
  • Zwei stellten fest: „Wir haben beide unser Nein an einen Lehrer und unser Ja an unsere Familie gegeben!“
  • Einer widersetzte sich mit seinem Nein meiner eigenen politischen Überzeugung. Ich zuckte kurz zusammen.
  • Einer erzählte mir, er hätte so viele Geschichten mit Jas und Neins zu erzählen, das reiche für ein ganzes Buch.
  • Einer, der nicht teilnehmen wollte, kam über eine Stunde später auf mich zu und sagte, er wolle doch mitmachen.
  • Einer meinte: „Sie können ja gar nicht nachprüfen, ob es stimmt, was ich hier notiere!“ „Stimmt.“ sagte ich. „Wie im echten Leben: Ob unsere Jas und Neins wahr oder gelogen sind, kann man oft nicht kontrollieren. Ich vertraue eben.“ „… Verstehe!“
  • Eine fand es zu wenig, nur „Nein von … an …“ zu schreiben. Sie schrieb „Nein von … GEGEN …“
  • Als ich weiterging, fingen zwei an, miteinander über ihre Antworten zu diskutieren. Später diskutierten sie noch immer.
  • Eine bedankte sich: „Die Karten lass ich zwar hier, aber Ja und Nein nehme ich mit. Jetzt muss ich mir überlegen, ob ich es auch ausspreche.“

Was mich sehr freut: Für diese Aktion wurde mir der playing arts award 2015 zuerkannt.